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Geboren wurde ich 1944. Ich wuchs in einem bürgerlich-christlichen Elternhaus in Ostberlin auf. Schon während der Schulzeit nahm ich Schauspielunterricht und arbeitete mit Wolf Biermann und anderen am „berliner arbeiter- und studententheater“(bat). Nach Abitur und Abschluss an der Schauspielschule ´Marie Borchardt´ bekam ich Engagements bei der DEFA und dem Deutschen Theater, sowie einen Förderungsvertrag beim DFF. Angeregt durch Kontakte mit Sarah Kirsch, Gisela Steineckert und anderen Ostberliner Lyrikern und Schriftstellern, schrieb ich systemkritische Gedichte und las sie öffentlich in Ostberlin. Indem ich das totalitäre Regime ablehnte, dessen Praktiken bei Andersdenkenden anprangerte und Flugblätter mit meinen Gedichten und einem Aufruf gegen die Mauer verbreitete, leistete ich Widerstand gegen systemkonforme Anpassung und Meinungsunterdrückung.

 

1964 wurde ich bei einem Fluchtversuch vom MfS verhaftet und in drei Prozessen u. a. wegen Flucht, Hochverrat, staatsgefährdender Hetze und Propaganda (gemeint war meine Systemkritik), sowie Verbindungsaufnahme zu einer ´verbrecherischen Organisation´ (gemeint war die Weltorganisation UNO) zu fast 10 Jahren Haft der unterschiedlichsten Strafkategorien verurteilt. Davon verbrachte ich fast 7 Jahre als politischer Häftling in den schlimmsten Gefängnissen der DDR, davon zunächst über 2 Jahre Untersuchungshaft beim Ministerium für Staatssicherheit in Berlin, wo ich misshandelt wurde, Tage in einer Eiszelle verbrachte, durch Isolationshaft gefoltert wurde und einer Scheinhinrichtung ausgesetzt war. Es folgten die Strafanstalten Bautzen und Brandenburg. Auch dort wurde ich physisch und psychisch schwer misshandelt. Nach akuter und lebensbedrohender Anämie, hervorgerufen durch andauernde Mangelernährung, lag ich mehrere Wochen im Haftkrankenhaus Bautzen.

 

Durch Vermittlung des Bundeskanzlers Willy Brandt, sowie den Bemühungen von Amnesty International, Gruppe Leeds/England, die mich zum „politischen Gefangenen des Jahres 1970“ erklärten, sowie den Bemühungen des Ostberliner Rechtsanwalts und Honecker-Vertrauten Wolfgang Vogel, wurde ich 1971 in die Bundesrepublik freigekauft. Nach kurzer Rekonvaleszenz erhielt ich Engagements am Niedersächsischen Staatstheater Hannover, am Düsseldorfer ´Kommödchen´, sowie am ´Privattheater´ James von Berlepsch in Hannover. Auf Grund schwerer posttraumatischer Belastungsstörungen, hervorgerufen durch sensorische Deprivation in Einzelhaft, Hunger, Misshandlungen und Folter, war es mir nicht mehr möglich, Texte auswendig zu lernen und auf der Bühne zu replizieren. Diese Beeinträchtigungen als Haftfolgen waren für mich und den damit befassten Medizinern zunächst unerklärlich. Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD) diagnostizierte man trotz Erfahrungen mit NS-Opfern damals noch nicht an politischen Häftlingen des SED-Regimes. Auf Grund dieser Haftfolgen musste ich alle Engagements abbrechen. Ich konnte meinen Beruf, der mir sehr viel bedeutete, nicht mehr ausüben. Das war für mich, nachdem ich die lange Haftzeit überstanden glaubte, eine bittere Erkenntnis.

 

Ein ehemaliger politischer Häftling aus Brandenburg, vormals Dozent an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig, inzwischen Doktorand in Gießen, überzeugte mich von der Aufnahme eines adäquaten Studiums zur Aufarbeitung meiner eigenen, psychischen Verletzungen, und zur Erforschung des DDR-Repressionsinstrumentes „Stasi“.

Zum Sommersemester 1972 erfolgte meine Immatrikulierung als Student und Doktorand an der Justus-Liebig-Universität Gießen für die Fachbereiche Soziologie, Philosophie und Politik. Arbeitsschwerpunkt DDR, insbesondere MfS (Haft, Folter, Menschenrechtsverletzungen) und Widerstand. Titel der Dissertation: „Arbeitsweise, Aufgabenstellung und Zielsetzung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“. Doktormutter war Prof. Dr. Helge Pross. Parallel dazu organisierte ich erfolgreich die erste Fluchthilfe-Aktion für einen Professor aus Jena. Ihr folgten weitere, die auf Grund intensiver Lagestudien und gründlicher Vorbereitung sämtlich erfolgreich abgeschlossen werden konnten.

 

Im deutschen Fernsehen (ZDF-Magazin) sprach ich 1973 erstmals öffentlich über die Situation und den Verkauf politischer Häftlinge durch das MfS in den Westen. Im gleichen Jahr verfasste ich ein Memorandum gegen die Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen, das durch glückliche Umstände am 18. September 1973 auch auf dem Tisch des UN-Botschafters der DDR im Plenum lag. Das Ministerium für Staatssicherheit eröffnete darauf den Zentralen Operativen Vorgang (ZOV)„Skorpion“, eine Reihe (BStU-archivierter) Kampfoperationen gegen mich. Ich war zum Staatsfeind Nr. 1 avanciert, wurde „zersetzt“ und sollte am Ende liquidiert werden.

Meine damalige Ehefrau, in meine Fluchthilfe-Aktionen selbst involviert, geriet 1976 bei einer Fluchthilfe-Aktion in Sofia/Bulgarien durch eigenes, dekonspirierendes Handeln in die Fänge der bulgarischen Geheimpolizei Drzaven Sigurnost (DS). Sie verriet Strukturen und Planungen meiner Fluchthilfe-Aktionen an die Stasi, deren Verbindungsoffizier die Informationen nach Ostberlin weiterleitete. Mit detaillierten Angaben über Namen, Organisation und Perspektiven bestätigte sie die vom MfS angenommene potenzielle Staatsgefährdung durch meine („feindlich-negative“) Tätigkeit und leistete dadurch späteren Mordanschlägen Vorschub. Davon erfuhr ich allerdings erst 1992 durch Akteneinsicht. Zunächst gelang es mir aber, meine Frau in einer Konteroperation aus den Fängen des DS zu befreien.

Nachdem der Inhalt meiner Dissertation durch Meldungen westdeutscher Medien bekannt wurde, so z.B. durch die „Passauer Neue Presse“, somit auch dem Ministerium für Staatssicherheit, fürchtete ich um meine Sicherheit und die ´meiner´ potenziellen Flüchtlinge. Durch Vermittlung der englischen Gruppe von AI nahm ich die Möglichkeit wahr, meine Dissertation an einer britischen Universität zu verteidigen und dort zu promovieren. Parallel dazu dehnte ich mein Engagement im Widerstand gegen den SED-Staat publizistisch und durch variable Fluchthilfe-Aktionen für verfolgte DDR-Akademiker weiter aus.

 

In einer Notiz der Zentralen Koordinierungsgruppe des MfS (ZKG) bezeichnete man mich als einen zwar stillen, gleichwohl „ effizienten Fluchthelfer und Staatsfeind mit hohem Gefährdungspotential für die DDR“. Es gelang mir, in einem Zeitraum von 10 Jahren insgesamt mehr als 220 Menschen, davon allein über 100 Ärzte, teilweise mit Frauen und Kindern, über Drittländer des Ostblocks und mit diplomatischer Hilfe zur Flucht in die Freiheit zu verhelfen. Weder die Hauptabteilung (HA) VI des MfS mit über 20 erkannten Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) in meinem Umfeld, noch die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (HVA), dem für Spionage und Auslandseinsätze zuständigen Teil der Stasi-Krake, noch der Verrat durch meine Ehefrau, noch mehrere Liquidierungsversuche konnten meine erfolgreichen widerständigen Aktionen gegen den SED-Staat verhindern. Als ein besonders infamer IM mich beim MfS der Zusammenarbeit mit dem Südafrikanischen Geheimdienst beschuldigte, glaubte MfS-Minister Erich Mielke, ich würde über meine beschriebene Tätigkeit hinaus für einen ausländischen Geheimdienst die Militärpolitik der DDR in Afrika ausforschen. In einer „Geheimen Kommandosache“ (GKS), die höchste MfS-Geheimhaltungsstufe des MfS, wurde die Liquidierung des „Staatsfeindes Welsch“ beschlossen und von Mielke abgezeichnet. Mit viel Glück überlebte ich drei Attentate in Deutschland, England und Israel in den Jahren 1979 bis ´81. Ich hatte keine Ahnung, dass die, mir mysteriös erscheinenden, Vorfälle geplante Mordanschläge des Ministeriums für Staatssicherheit waren.

 

Nach meiner Genesung von den Folgen des letzten Attentats arbeitete ich als Journalist und Auslandskorrespondent für ein deutsches Magazin. Erst 1984 erkannte ich nach Lektüre einer Analyse östlicher Geheimdienstpraktiken in der Bundesrepublik, die Analogie zum letzten Gift-Anschlag auf mich. Eine juristische Verfolgung der Täter war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht möglich. Erst nach der Implosion der DDR erstattete ich mehrfach Strafanzeige, sowohl gegen Mielke, als auch gegen den eigentlichen Täter und dessen Führungsoffiziere im MfS wegen des Versuches und der Verabredung zum Mord. Obwohl Mordvorwurf nach dem StGB ein Offizialdelikt ist, das in jedem Fall staatsanwaltliche Ermittlungen nach sich ziehen muss, wurde nicht ermittelt – weil man mir nicht glaubte. Genau diesen Grund nannten mir Jahre später der vormalige Westberliner Polizeidirektor, Abteilung Staatsschutz, Manfred Kittlaus, sowie der vormalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Niemand hatte mir glauben wollen, dass die Stasi ihre Gegner zuweilen auch ermordete. So wurden auch die westdeutschen Staatsanwaltschaften späte Opfer der „Friedenspropaganda“ des „friedliebenden Arbeiter- und Bauernstaates DDR“.

 

Jetzt erreichten mich anonyme Morddrohungen, vermutlich aus Ex-Stasi Kreisen. Nachdem die Justiz in Untätigkeit verharrte, mich weder schützen wollte noch konnte, entschloss ich mich, Deutschland zu verlassen und ins Exil nach Mittelamerika (Costa Rica) zu gehen. Dort arbeitete ich an der Pazifikküste als Pilot eines kleinen Wasserflugzeuges, mit dem ich vorwiegend Amerikaner zu den bevorzugten Tauchrevieren flog. In meinem Refugium „El Dorado“, einer Finca am Rande der Hauptstadt San José, begann ich mit Aufzeichnungen zu meinem autobiografischen Buch „Ich war Staatsfeind Nr.1“. Gleichzeitig veröffentlichte ich einen Gedichtzyklus in spanischer Sprache. Lateinamerikanische Schriftsteller, Künstler und Menschenrechtler, u. a. die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, waren meine Gäste.

 

Zeitgleich recherchierten Journalisten des Magazins ´STERN´ in Kooperation mit der Zentralen Ermittlungsstelle für die Verfolgung von Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) die mutmaßlichen Stasi-Täter und brachten damit endlich die Strafverfolgung in Gang. Die Täter wurden 1993 gefasst und standen ab 1994 vor Gericht. Der Chef der Hauptabteilung VI und Leiter des Zentralen Operativen Vorgangs (ZOV) „Skorpion“, MfS-Generalmajor Dr. Heinz Fiedler, nahm sich kurz nach seiner Verhaftung in der Berliner Untersuchungshaft das Leben. Der Chef des MfS, Armeegeneral Erich Mielke, wurde vom Berliner Landgericht als Befehlsgeber der Attentate auf mich überführt, schied aber wegen Krankheit aus dem Verfahren aus. Spätere Aktenfunde belegen, dass das Politbüro der SED die Entscheidung zu meiner Liquidierung akklamiert hatte. Die Täter, sofern überführt und nicht krank oder tot, wurden verurteilt. Nach dem Prozess kehrte ich wieder nach Deutschland zurück. Mehrere Tage lang nahm ich Einblick in die immense Menge meiner Stasi-Akten inklusive handschriftlicher Aufzeichnungen meiner Ehefrau, die mir das Ausmaß ihres Verrates deutlich machten.

 

Wegen meiner Verdienste im Widerstand gegen die SED-Diktatur wurde ich 1997 von der Rhein-Ruhr-Universität Bochum, sowie der Vereinigung Politisch Verfolgter (VpV) für das BVK vorgeschlagen. Ich hielt Vorträge, publizierte kritische Texte über die DDR und das Ministerium für Staatssicherheit und vollendete im Jahr 2000 meine Autobiografie, die unter dem Titel „Ich war Staatsfeind Nr.1“ 2001 bei Eichborn erschien. Darin beschreibe ich detailliert die mich schwer traumatisierenden Jahre meiner politischen Haft, meine langjährigen Fluchthilfe-Aktionen und die Liquidierungsversuche durch gedungene Mörder des MfS.

Auf Lesereisen durch Deutschland kläre ich seitdem die anhaltend unzureichend informierte Öffentlichkeit, insbesondere die nachwachsende Generation an den Schulen, über die Verbrechen der kriminellen Organisation „MfS“ auf. Durch Vorträge in Stiftungen, Institutionen, Parteien, an Schulen und Universitäten sowie in TV-Gesprächsrunden im In- und Ausland, trage ich zur Aufarbeitung eines Unrechtsregimes bei, was im verklärenden Licht einer fast zwanzigjährigen Entfernung zu einer der schlimmsten Diktaturen der Gegenwart nicht einfach ist, da das Wissen darum durch Desinteresse, Gleichgültigkeit und einer geschickten Propaganda der Täter, die nach wie vor unter uns sind, langsam verblasst.

2004 wurde das Buch mit Unterstützung von WDR, Arte und der Deutschen Filmförderung unter dem Titel „Der Stich des Skorpion“ mit namhaften Schauspielern wie Martina Gedeck, Jörg Schüttauf, Hannes Jaenicke, Matthias Brandt u. a. verfilmt. Auf der ´cologne conference´ wurde der Film aus 400 europäischen TV-Spielfilmproduktionen zum besten TV-Spielfilm 2004 nominiert. Am 19. 11. 2004 erfolgte die Erstausstrahlung im deutsch-französischen TV-Kanal ARTE. Wenig später auch in der ARD. 2005 folgte die Nominierung zum Deutschen Fernsehpreis. 2007 erscheint die DVD mit dem TV-Spielfilm „Der Stich des Skorpion“ im Handel.<

 

Seit der Implosion der „Diktatur des Proletariats“ recherchiere und befasse ich mich mit der Geschichte des Widerstands und seiner Bedeutung für den Sturz der Diktatur im historischen Rückblick, den Folgen, der Aufarbeitung und der Aneignung von Ehrungen für den Widerstand durch eine nichtexistente, gleichwohl sich so bezeichnende ´Opposition´ durch die reformsozialistisch orientierte Bürgerrechtsbewegung. Im zwanzigsten Jahr des Mauerfalls und der Implosion der SED-Herrschaft erscheint mein neues Buch „Die verklärte Diktatur. Der verdrängte Widerstand gegen den SED-Staat.“ Es ist das Ergebnis langer, objektivierender Forschung in Verbindung mit eigenen Erfahrungen als Widerständler, Verfolgter und Opfer. Darin setze ich mich mit den Verklärungsversuchen ehemaliger Reformsozialisten und rechtzeitig gewendeter Funktionseliten des SED-Regimes auseinander. Es sind die gleichen, die uns heute in TV-Runden, Podien und wissenschaftlichen Veranstaltungen, in Büchern und Symposien erklären, was wir, die genuinen Opfer und Widerständler, erlitten haben. Zuerst haben die Opfer der SED-Diktatur die hehren Worte der Politik, die Feiern und Mahnungen als Ehrung für sich angesehen, bis ihnen aufging, dass die Veranstalter und Redner das Erinnern zu einer Ehrung für sich selbst umfunktioniert hatten. Es geht ihnen darum, dass die Träger des Erinnerungskultes sich in den Mantel der Großartigkeit ihrer Opfer einhüllen wollen. Das Volk und die Verfolgten des SED-Staates sind frei. Der individuelle Mensch hat im Widerstand gegen das Totalitäre gesiegt, aber die Freude über Befreiung und Sieg ist nicht mit der Politik der Nation verschmolzen. Die Verklärung der Diktatur schreitet voran.

 

Wolfgang Welsch in: Lexikon „Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur“ HG. H.-J. Veen, Propyläen © 2000 by Econ Ullstein List Verlag, Berlin München, S.132, 372f

http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/01_0130.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Welsch

 

 

Der überdimensionale Schrecken des Nationalsozialismus hat in Deutschland zu einer unverdient milden Beurteilung des SED-Staates geführt. Weil die zweite deutsche Diktatur keinen Genozid begangen und keinen Weltkrieg angefangen hat, waren die Vollstrecker nicht automatisch besser als ihre Kollegen von der Gestapo. Wenigstens zwei Jahrzehnte dauerte es nach 1945, bis größere Teile der Bevölkerung bereit waren, die Verbrechen der NS-Diktatur zur Kenntnis zu nehmen. In den fünfziger, sechziger Jahren wollte den überlebenden Opfern niemand zuhören. Das Thema wurde einfach übergangen. Ähnliche Erfahrungen haben die politischen Häftlinge des SED-Staates gemacht. Nachdem sie anfangs als Helden und Widerstandskämpfer gefeiert wurden, erlosch das Interesse rapide, eine angemessene Entschädigung für ihre Leiden gesetzlich zu verankern. An dieser mangelnden Empathie für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Vergleichbar sind auch die gesundheitlichen Schäden ihrer Opfer. Daraus folgte bislang keine Gleichbehandlung in der Entschädigung beider Gruppen. Selbst auf die von allen Sachverständigen geforderte Vermutungsregelung bei Gesundheitsschäden in Folge einer Inhaftierung hatte die Koalition in Berlin verzichtet. Die geringschätzigen Reaktionen der Politiker auf den Protest der Betroffenen geben Letzteren Recht. Es ist eine zynische Gesundheitspolitik, in der Opfer die Herkunft ihrer gesundheitlichen Leiden beweisen müssen.<

Auch das im Juni 2007 vom Deutschen Bundestag beschlossene 3. UBG konnte keine wirksame Abhilfe schaffen, weil es den Kreis der Anspruchsberechtigten unzulässig beschränkt und die „Ehrenpension“ durch Anspruchsvoraussetzungen dem BSHG zuordnet. Damit hat es den Charakter von Almosen. Der darin festgelegte Betrag von 250,- Euro orientiert sich an der 500 D-Mark Rente für Opfer des Nationalsozialismus, die vor 16 Jahren beschlossen wurde. Er ist zwar vordergründig gleich, trotzdem gibt es einen gravierenden Unterschied: NS-Opfer erhalten neben verschiedenen Entschädigungsleistungen, vor allem im Bundesentschädigungsgesetz, zu Recht eine großzügige Kompensation – die allen Ausgleichsleistungen der SED-Opfer weit überlegen ist. Auch die Kapitalentschädigungen der NS-Opfer waren erheblich günstiger als die späteren Haftentschädigungen der Kommunismus-Opfer. Es darf aber keine Opfer erster und zweiter Klasse geben. Misshandlungen, Folter und menschenverachtender Umgang mit widerständigem Verhalten im SED-Staat darf nicht anders bewertet werden als im NS-Staat. Wenn es auch keine wirkliche Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht geben kann und Gerechtigkeit – wenn überhaupt – nur schwer herstellbar ist, so wirken die ins Spiel gebrachten Eckpunkte verletzend. Menschen, die für Freiheit, Recht und Demokratie Jahre ihres Lebens hinter kommunistischen Kerkermauern verbrachten, erwarten mit Recht keine Sozialmaßnahme mit Bedürftigkeitsprüfung, sondern Anerkennung und Würdigung ihres Widerstands und ihrer Leiden durch eine Ehrenpension.

Die Täter werden durch Prüfungsresistente Renten und Pensionen belohnt, deren Opfer dagegen durch nur schlecht verhüllte Almosen verhöhnt. Einsicht über den unanfechtbaren Anspruch der Opfer und des Widerstands auf Restitution, Anerkennung und Würde ist das jedenfalls nicht. Wer die SED-Opfer durch neues Unrecht demütigt, legt den Samen für eine neue Diktatur, da der Eindruck vermittelt wird, ein Engagement für Demokratie lohne sich nicht.

Wer die Folterkeller der Stasi, die Leiden der Opfer und den Mut des Widerstands ohne Zorn und Empörung betrachtet oder verschweigt, ist nicht wirklich objektiv. Historisch falsch gezeichnete Rollenbilder über die ´Geschichte der Opposition´ in der DDR müssen aufgebrochen werden. Dem Widerstand muss ein angemessener Platz im vereinigten Deutschland verschafft werden. Dazu gehört, auf die im Einigungsvertrag postulierte, angemessene Restitution für politische Häftlinge des SED-Staates ebenso zu verweisen, wie auf die Anerkennung und Würdigung der Leistungen des Widerstands für den Sturz der Diktatur und die Einheit Deutschlands.

 

 

Publikationen

  • Desde un pais lejano. Lyrik, Hrsg.: Edición Centroamerica, San José 1993
  • Die Opfer der SED-Diktatur: Ohnmacht und Protest. Wissenschaftlich-historische Analyse, Co-Autor, Institut für Deutschlandforschung der Ruhr-Universität, Bochum 1998
  • Opfer und Täter im SED-Staat, Hg. Mertens/Voigt, Co-Autor, textkritische Analyse, Schriftenreihe d. Gesellschaft f. Deutschlandforschung Bd.58, Duncker & Humblot, Berlin 1998
  • Widerstand und MfS im SED-Staat. Wissenschaftliche Analyse MfS/Widerstand, Schwarzbuch-Archiv 3, Schwerin 1999
  • Klage. Politische Gedichte gegen die SED-Diktatur. Mit Illustrationen von Ute Weizsaecker, Schwarzbuch-Archiv 4, Schwerin 2000
  • Ich war Staatsfeind Nr. 1. Auf der Todesliste der Stasi. Eichborn, Frankfurt/Main 2001
  • Readers Digest, Im Spiegel der Zeit/655. Kurzfassung. Stuttgart, Zürich, Wien 2002
  • Strahlungen in Dunkler Zeit. Hg. Schmidt-Pohl, Co-Autor „Angst“. Schwerin 2002
  • Ich war Staatsfeind Nr. 1., Als Fluchthelfer auf der Todesliste der Stasi. TB, Piper 9. Aufl., München, Zürich 2015
  • Der Stich des Skorpion. WDR/ARTE TV-Spielfilm nach der Buchvorlage „Ich war Staatsfeind Nr.1.“
  • Die verklärte Diktatur. Der verdrängte Widerstand gegen den SED-Staat. Aachen 2009
  • Die vergessenen Opfer der Mauer, Co-Autor: „Ende einer Flucht“, Hg. Knabe, List, 2009
  • Mauergeschichten, Co-Autor: „Mein Gewissen war stärker“, Hg. Kierok, Braun/CH, 2009
  • Im Teufelskreis des Traumas, in: Trauma & Gewalt, HG Seidler/Freyberger/Maerker, 2009
  • Schwierigkeiten mit der Wahrheit, Eschatologie der NAK, Remscheid 2009
  • Unerträgliche Verharmlosung, in: Komma, Magazin f. christl. Kultur, Hg. MM, Aachen 2009
  • Ich war Staatsfeind Nr.1, Schauspiel, Auftragsarbeit für das Theater Trier, Uraufführung April 2010
  • Mein Widerstand gegen den SED-Staat, zweiteilige DVD, OEZ, History-TV 2010
  • Aus einem fernen Land. Gedichte, Remscheid 2011
  • Der Staat als Gewalttäter, in: Psychoanalyse. Texte zur Sozialforschung, 16.Jg, H2 (29) Lengerich 2012
  • Ich war Staatsfeind Nr. 1, Hörbuch, Audible/Amazon, erschienen am 01.11.2013
  • Friedlich Revolution und Demokratie. Perspektiven nach 25 Jahren, Co-Autor, HG: E. Jesse, Th. Schubert, Ch. Links-Verlag, Berlin, 2015
  • Sowie zahlreiche Beiträge in wissenschaftlichen Publikationen, Zeitschriften und Zeitungen.

 

*Einige Werke sind nicht mehr erhältlich bzw. keine neuen Auflagen geplant